Annalena Rebsteck

Beim Nachdenken darüber, wie ich diese Frage beantworten kann, ohne auf abgedroschene Phrasen zurückgreifen zu müssen, habe ich mich an ein Szenario aus einer Vorlesung der US-amerikanischen Anthropologin Margaret Mead erinnert.

Ein Student fragte sie: “Was war das erste Zeichen von Zivilisation?” Der Student rechnete wohl mit Gegenständen, wie einem Angelhaken, einem Tontopf oder einem Schleifstein als Antwort. Mead dachte für einen Moment nach und sagte dann: “Ein zusammengewachsenes Femur. Wissen Sie, wenn ein Tier sich den Oberschenkel in der Wildnis bricht, dann stirbt es. Es kann nicht vor Gefahren flüchten, es kann nicht zum Fluss laufen, um zu trinken und es kann keine Beute jagen. Kein Tier kann mit gebrochenem Femur lange genug überleben, so dass die Verletzung verheilt. Ein geheiltes Femur zeugt davon, dass sich jemand um die verletzte Person gekümmert, die Verletzung behandelt, für sie gejagt und gesammelt hat, bei ihr geblieben ist und sie geschützt hat, bis die Verletzung verheilt ist.“ Mead erklärte, dass da, wo das Gesetz – Survival of the fittest – gilt, keine zusammengewachsenen Femure gefunden werden. Das erste Zeichen von Zivilisation ist das Mitgefühl, sichtbar in einem verheilten Knochen.