Fashion Revolution

Außenansicht des Ateliers Frauenzimmer in der Großen Klausstraße 20.

Im Zuge der Fashion Revolution Week besuchte Stadträtin Dörte Jacobi vergangene Woche die Ateliergemeinschaft „Frauenzimmer“ in der Großen Klausstraße 20, um mit ihnen über fairen Handel, nachhaltige Produktion und ihre Anliegen zu reden.

Das Ladengeschäft, welches von Sabine Jäger und Susanne Wust betrieben wird, öffnete August 2014 und bietet ihren Kundinnen seitdem Mode, Schmuck und Accessoires in hoher Qualität und großer Auswahl. Alle Produkte kommen entweder direkt aus der Eigenproduktion der zwei gelernten Damen-Maßschneiderinnen oder werden von befreundeten Kreativen, Künstlerinnen und Handwerkerinnen hergestellt.

Bei einer Tasse Tee kommen wir ins Gespräch über Fairtrade-Town und sofort stellt sich Verwunderung bei uns ein.

Dörte Jacobi: „Ihr wusstet also gar nicht, dass Halle Fairtrade-Town ist?“

Susanne Wust: „Ich sag’s mal so. Es gibt ja diesen fairen Einkaufsführer. Davon haben wir eine ganze Zeit lang gar nichts gewusst. Und schon gar nicht, dass wir da aufgeführt werden. Das ist also für uns eine Überraschung gewesen.“

Sabine Jäger: „Erst durch eine befreundete Schneiderin und Modedesignerin, Franka Skrabak, haben wir davon erfahren. Sie hat ihr Atelier Laden um die Ecke und hat uns den Einkaufsführer vorbeigebracht.“

Dörte Jacobi: „Das ist ja bereits die zweite Auflage.“

Susanne Wust: „Ja, wir hatten auch schon die erste Auflage.Bei der zweiten Auflage mussten wir erneut nachhaken.“

Sabine Jäger: „Bei der zweiten Auflage wurde auch nicht gefragt, ob sich vielleicht irgendetwas geändert hat.“

Susanne Wust: „Ja, schade. Da ist irgendwie kein Kontakt entstanden.“

Inhaberin Susanne Wust erklärt Dörte Jacobi etwas.
Kleiderstange voll mit Oberteilen wie Pullover und Strickjacken.

Mittlerweile haben Susanne Wust und Sabine Jäger ein paar Exemplare des Einkaufsführers, doch Halle nehmen sie trotzdem nicht als Fairtrade-Town wahr. Sie sind sich allerdings durchaus bewusst, dass es in Halle viele Läden gibt, die in Eigenproduktion Kulinarisches, Kunst, Mode, Design, etc. herstellen und damit fair produzieren. Jedoch laufe man eben nicht bewusst unter der Prämisse durch die Stadt, Halle sei Fairtrade-Town. Sicher, man sehe das Fairtrade-Siegel hier und da auf Lebensmitteln, wenn man einkaufen gehe, darüber hinaus bliebe es ihnen allerdings verborgen. Das Fairtrade-Town-Siegel hätten sie noch nie erspäht. Wenn sie über den Begriff „Fairtrade“ nachdenken, äußern sie auch gemischte Gefühle.

Susanne Wust: „Man muss auch einfach betonen, dass viele Produzenten im Ausland es schwer haben, sich zu einer Kooperative zusammenzuschließen und ihre Produkte auch oft nicht zertifizieren lassen können, weil es schlichtweg zu teuer ist, so ein Siegel zu erwerben. Das ist die Realität. Davon sind wir natürlich weit entfernt. Für uns wäre es jedoch einfach wichtig, Materialien wie Stoffe und Garne auf ihre Herkunft zurückverfolgen zu können aber oft werden diese Zutaten gar nicht gekennzeichnet.”

Sabine Jäger: „Ich muss ehrlich sagen, dass wir anfangs gar nicht so intensiv darüber nachgedacht haben. Für uns hat sich das aus unserem Beruf als Schneiderin einfach so ergeben.“

Susanne Wust: „Ja, stimmt.“

Dörte Jacobi: „Na ja, kommt darauf an, wie fair ihr eure Arbeitszeiten gestaltet!?“

Susanne und Sabine müssen schmunzeln.

Susanne Wust: „Das ist wohl richtig. Jeder von uns beiden arbeitet hier für sich unter seinem eigenen Label und teilt sich seine Zeit selber ein.“

Das Thema Arbeitsweise ist für Susanne und Sabine besonders wichtig. Ursprünglich hatten sie den Laden zu viert eröffnet, gemeinsam mit zwei anderen befreundeten Designerinnen. Sie wollten etwas Neues wagen und das Risiko sowie Aufgaben teilen. Allerdings ist es nicht immer einfach zu bestehen.

Susanne Wust: „Man weiß nie vorher, was man jeden Monat für Einkünfte hat, es sei denn, wir fertigen für Kundinnen per Auftrag an.“

Sabine Jäger: „Es ist leider unberechenbar. Gerade hier in der Seitenstraße ist es oft nicht einfach. Die Hallenser tun sich schwer.”

Dörte Jacobi: „Das habe ich schon von vielen gehört. Boulevard ist okay. Große Ulrichstraße auch. Doch sobald es in die Seitenstraßen geht, wird es schwierig.“

Susanne Wust: „Die meisten Leute kommen vorbei und denken, wir sind neu hier. Dabei sind wir schon sechs Jahr hier, genau an diesem Platz!“

Dörte Jacobi im Gespräch mit den Inhaberinnen des Ateliers Frauenzimmer umgeben von Kleidertangen.
Die Inhaberinne posieren vor dem Eingang ihres Geschäfts.

Über Potentiale höre man seit Jahren vieles, doch diese werden nicht genutzt. Sabine und Susanne berichten uns von ihren zahlreichen Ideen, die sie in Zusammenarbeit mit anderen Händlerinnen und Händlern angeschoben hätten, doch aufgrund der immer prekärer werdenden Situation rund um ihren Laden keine Fahrt aufnahmen. „Kreativmeile im Graseweg-Viertel“ war eine davon. Sie erinnern sich, wie Oberbürgermeister Dr. Bernd Wiegand mit dem Thema „Kreativmeile“ für Aufsehen und Begeisterung bei ihnen und anderen Händlern gesorgt hatte, die Umsetzung blieb hingegen aus.

Susanne Wust: „Wir hatten keine Bedenken hinsichtlich des Standortes. Wir wollten uns ausprobieren. Dann merkt man, dass es gewisse Hindernisse gibt, auf die man keinen Einfluss hat, wie parkende Autos vor Schaufenstern. Das ist aber zum Glück schon besser geworden. (…) Nun ja, wie soll man es sagen. Wir befinden uns hier eigentlich an einem wunderschönen Ort, den die Stadt aber nicht genügend würdigt. Es ist schwierig. Ich erinnere mich noch, dass das hier mal als Kreativmeile gedacht war. Herr Wiegand hatte das groß angekündigt. Das ist lange her und wurde nicht umgesetzt.“

Dörte Jacobi: „Daran kann ich mich auch noch gut erinnern. Romy Kraft, die den Laden neben euch hatte, hatte das beworben.“

Susanne Wust: „Viele Leute, die hier mal ansässig waren, sind jetzt woanders. Die Designerinnen Romy Kraft und Jennifer Brachmann hatten zu unserer Eröffnungzeit ihre Ateliers in dieser Straße. Die Leute fehlen jetzt hier. Man hätte sie hier halten müssen. Damit ist viel Flair verloren gegangen.“

Sabine Jäger: „Vielleicht haben wir Glück mit dem Laden gegenüber. Der steht nun auch schon eine Weile leer. Da war vorher ein Klavierlehrer drin und hat Klavierstunden gegeben.”

Susanne Wust: „Na mal sehen. Als der Laden neben uns leer stand, hat die HWG einer Änderungsschneiderei den Zuschlag erteilt. Schneiderei neben Schneiderei, das ergibt keinen Sinn. Man hätte diese Straße auch einfach richtig entwickeln müssen, mit mehr handwerklichen Läden, Cafés. Ein engerer Kontakt zu den Mietern, wenn es beispielsweise um die Miete geht und ein Entgegenkommen, das wäre gut. Gerade für junge Künstler und Handwerker wäre das doch ein guter Start und Standort. Wenn diese Läden Erfolg haben, hat doch auch die Stadt Erfolg.”

Sabine Jäger: „Die meisten Gebäude in dieser Straße gehören der HWG, soweit ich weiß. Da müsste doch was machbar sein.“

Dörte Jacobi: „Das widerspricht alles dem Gedanken die Innenstadt wiederbeleben zu wollen. Vor allem aber ärgert es mich, wenn Sachen angekündigt werden, die dann nicht umgesetzt werden und einfach von der Agenda verschwinden.“

Dörte Jacobi schaut sich das Angebot der Schneiderinnen Susanne Wust und Sabine Jäger an
Innensicht des Ateliers, Schals in der Auslage, an der Wand hängt ein Rock.

Die zwei Unternehmerinnen begrüßen jede kleine Änderung, die den Standort attraktiver machen und wünschen sich, es würde noch mehr davon geben. Zum Ende teilen sich noch einige ihrer Vorschläge mit uns.

Sabine Jäger: „Die neuen Bänke in der Großen Klausstraße sind eine Bereicherung, über die wir uns gefreut haben. Dadurch verweilen mehr Leute hier und schauen sich auch mal um.“

Susanne Wust: „Und es wird weniger geparkt!“ (lacht)

Sabine Jäger:Es sind ja schon Kleinigkeiten, die helfen würden. Wir hatten beispielsweise in der Stadtinformation am Markt gefragt, ob man dort Flyer auslegen könnte. Das kostet allerdings monatlich und auch nicht gerade wenig!“

Susanne Wust und Sabine Jäger: “Warum unterstützt die Stadt nicht die Idee, einen Guide zu erstellen, der sowohl fairer Einkaufsführer ist, in dem alle Kreative, Handwerker und Künstler aufgeführt werden, als auch ein Stadtplan, der die Kreativmeilen in Halle aufführt und kennzeichnet? Damit werden Hallenser und Touristen eingeladen, diese Läden und Ateliers zu entdecken, quasi ein Kreativspaziergang durch Halle, verbunden mit Geschichte und Kultur dieser Stadt. Warum schöpft Halle nicht sein Potential aus?”

Susanne Wust: „Das Graseweg-Haus ist in Halle eine Adresse. Viele Leute kommen hier her, um den berühmten Feininger-Blick zu sehen, aber auch da wird der Platz nicht ausreichend genutzt und gewürdigt.”

Sabine Jäger: „Ein wenig Begrünung wäre schön, etwas Einheitliches. So eine kleine Allee könnte ich mir gut vorstellen, wie die Bäume auf dem Markt.“

Susanne Wust: „Ja, eine Begrünung vor den Eingängen der Geschäfte. Momentan stellen wir eben selbst Blumentöpfe von uns vor die Tür, um es einladender zu gestalten. Von Weitem würde man uns sonst gar nicht mitbekommen. Der Vorteil ist auch, dass es sich hier um einen verkehrsberuhigten Bereich handelt, also kein Straßenverkehr. Wir sitzen im Sommer ganz oft draußen vor dem Laden und trinken Kaffee. Das zeichnet vielen Leuten ein Lächeln ins Gesicht. Ein, zwei Cafés, mehr Ateliers und kleine Spezialitätenläden, so wie sie in der kleinen Ulrichstraße zu finden sind, damit die Leute gerne durch dieses Viertel laufen. Das wäre doch was.“

Dörte Jacobi: „Ja, das ist doch ein toller Ansatz, um das Thema Kreativmeile wieder aufzugreifen. Eure Anregungen werde ich auf jeden Fall mitnehmen und nachfragen, was mit dem Thema passiert ist und ob es sich nicht wiederbeleben lässt.“

Die Kanne Tee ist leer. Sabine und Susanne begleiten uns nach draußen und posieren noch für ein Foto vor dem Laden. Beim Blick auf die Hauswand kommen sie ins Grübeln und erzählen uns davon, dass die Gebäude bald saniert werden sollen. Ob sie sich dann allerdings noch die Miete leisten könnten, ist für sie fraglich.

Innensicht des Ateliers, eine Vase bestückt mit dekorativem Ästen, Schals in der Auslage, an der Wand hängt ein Rock.