Durchführung eines Sofortprogramms “Gewusst wie!” der EVH

  • Beitrags-Kategorie:Antrag
Eine Frau sitzt mit einem Energiesparberater an Ihrem Küchentisch, der ihr einen Flyer des Stromspar-Checks reicht

STATUS

wird umgesetzt

Wenn in diesen Tagen über Energiearmut gesprochen wird, geht es oft um Symptombekämpfung, also darum die Folgen hoher Energiekosten zu minimieren. Doch wir müssen auch an die Ursachen ran. Deswegen hat unsere Fraktion mit einem Antrag zu einem Sofortprogramm “Gewusst wie!” der EVH die Initiative ergriffen, um Haushalten mit geringem Einkommen bei Investitionen in Energieeinsparungen unter die Arme zu greifen.

Im Kern fordern wir, dass die Stadtverwaltung sich dafür einsetzt, dass die EVH ihre Energiesparkampagne neu auflegt und dabei Energiesparartikel wie LEDs oder Sparduschköpfe an Haushalte mit geringem Einkommen verteilt. Zudem soll das Energieberatungsangebot erweitert werden und geprüft werden, ob man armutsbetroffene Haushalte auch bei der Anschaffung eines neuen Kühlgerätes unterstützen kann:

Die Versorgung mit Strom, Wasser und Wärme ist Teil des „menschenwürdigen Existenzminimums – so das Bundesverfassungsgericht bereits in Urteilen im Jahre 2010 und 2014 (1 BvL 1/09; 1 BvL 10/12). Doch Energiearmut war schon lange vor dem 24. Februar 2022 eine Realität in Deutschland. So gaben für 2020 knapp 7,5 Mio. Menschen an, dass sie ihr Zuhause nicht angemessen heizen konnten. Gleichzeitig wurde trotz eines zeitweiligen Sperrmoratoriums im selben Jahr 31.000 Haushalten in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zeitweilig der Strom abgestellt. Gassperren sind zwar seltener, doch geht die Forschung davon aus, dass es in diesem Bereich vermehrt zu Kündigungen von Mietverhältnissen und darauffolgenden Zwangsräumungen aufgrund von Rückständen bei den Nebenkosten kommt. Zudem wiesen Studien wiederholt daraufhin, dass viele Menschen aus Angst vor Sperrungen ihren Verbrauch weit unter das zuträgliche Maß reduzieren[1]. Gleichzeitig werden Mehrausgaben an anderer Stelle ausgeglichen, sodass man mancherorts auch von einem „Heat or Eat“ Dilemma spricht. Energiesperrungen haben damit in jeder Phase manifeste gesundheitliche, psychologische und soziale Konsequenzen.

Zur Vermeidung der durch Sperrungen verursachten kurzfristigen Härten existieren in vielen Staaten starke Beschränkungen ihrer Anwendbarkeit. So hat auch der deutsche Bundestag mit weitreichenden Änderungen an den Strom- und Gasgrundversorgungsverordnungen eine Reihe von Ausnahmen eingeführt, die einer Energiesperre entgegenstehen. Solcherlei Bearbeitung kurzfristiger Ausnahmesituationen darf jedoch nicht die Behebung langfristiger struktureller Probleme ersetzen. Ein wirksames Mittel zur mittelfristigen Verbrauchs- und Kostenreduzierung sind Energieberatungen. In Halle bieten beispielsweise die Verbraucherzentralen, teilweise auch in Kooperation mit anderen Sozialträgern wie der Caritas, regelmäßig Energieberatungen an, die zuletzt jedoch immer wieder weit im Voraus ausgebucht waren. Zu Energieberatungen hat die Forschung allerdings wiederholt festgestellt, dass Beratungen, die rein auf Verhaltensänderungen gerichtet sind, bei armutsbetroffenen Menschen wenig bis gar keine Effekte zeitigen[2], da diese entgegen der landläufigen Meinung überwiegend nicht verschwenderisch mit Energie umgehen[3].

Stattdessen liegt der größte Hebel zur Entlastung Armutsbetroffener in der Bereitstellung materieller Hilfen zur Reduktion des Verbrauchs. Dies können zum einen Energiesparartikel wie LED-Lampen, Durchlaufbegrenzer, Sparduschköpfe oder spezielle Thermostate und zum anderen Unterstützung beim Austausch von ineffizienten Altgeräten vor allem im Bereich der Weißware sein. Der Austausch eines mehr als 10 Jahre alten Kühlschranks kann mehrere hundert Kilowattstunden und somit bei aktueller Preislage der EVH ca. 35-110 € im Jahr einsparen. Genau solcherlei hochrentable Investitionen (die sich mit steigenden Preisen noch schneller amortisieren) sind Haushalten mit geringem Einkommen aus eigener Kraft nicht möglich. Im Rahmen des Bundesprogramms „Stromspar-Check“ – das in Halle leider nicht mehr verfügbar ist – konnten mit derlei Maßnahmen im Schnitt um die 15 % an Einsparungen erreicht werden[4]. Die EVH hat diesen Zusammenhang bereits erkannt und in der Vergangenheit mit Aktionen ihres Förderprogramms „Gewusst wie!“ Hallenser Haushalte aktiv beim Energiesparen unterstützt. Dieses Engagement der EVH begrüßen wir ausdrücklich und plädieren dafür, dass die Stadt Halle (Saale) entsprechende Angebote anlässlich der aktuellen Notlage ausbaut.

Neben den bereits aufgeführten Maßnahmen, sind jedoch auch weitere innovative Lösungsansätze denkbar. Im Rahmen einer fokussierten Planung zur Kampagne ließe sich hier über Formen von Mikrodarlehen oder Mikrospenden nachdenken. So wurden in einigen Kommunen Europas mit Hilfe von kleinen, un- oder niedrigverzinsten Darlehen wenig invasive Energiesparmaßnahmen (Tausch von Weißware oder sonstigen Elektrogeräten) ermöglicht. In Nürnberg und Teilen Frankreichs wiederum wurden Kleinstspenden aus der Bevölkerung und von anderen Stakeholdern (regionale Betriebe, zivilgesellschaftliche Gruppen) gesammelt, um armutsbetroffenen Haushalten Energiesparmaßnahmen (wie einen Kühlgerätetausch) zu ermöglichen. Im Rahmen dieser Maßnahmen wäre darauf zu achten, dass eine enge Koordination mit den Sozialträgern unter Ausnutzung aller Ermessenspielräume, die diesen zur Verfügung stehen, erfolgt. In einer solchen, noch engeren, Koordination zwischen Versorgern, Sozialträgern und Verbraucherschutzorganisationen liegt zudem ein weiterer Hebel für ein effektives Frühwarnsystem, beispielsweise indem Verbraucher den Versorgern aktiv gestatten, sich bei Zahlungsschwierigkeiten direkt mit den Sozialträgern in Verbindung zu setzen.

Zusammenfassend entlastet die Reduktion der Energiearmut über die Kosten der Unterkunft den städtischen Haushalt, setzt Ressourcen bei Bürgerinnen und Bürgern frei, stärkt die öffentliche Gesundheit und reduziert die Treibhausgasintensität der Privathaushalte. Die Nutzung solcher enormen, einfach zu hebenden Einsparpotenziale ist somit nachgewiesenermaßen wirtschaftlich, sozial und ökologisch rentabel. Es gilt in der aktuellen Situation somit alle Möglichkeiten zu nutzen, um dieses Potenzial zu realisieren.

Diese Initiative auf dem Bürgerinfoportal der Stadt Halle (Saale) einsehen

[1] Eisfeld, K., & Seebauer, S. (2022). The energy austerity pitfall: Linking hidden energy poverty with self-restriction in household use in Austria. Energy Research & Social Science, 84, 102427. https://doi.org/10.1016/j.erss.2021.102427

[2] Tews, K. (2013). Energiearmut definieren, identifizieren und bekämpfen – Eine Herausforderung der sozialverträglichen Gestaltung der Energiewende: Vorschlag für eine Problemdefinition und Diskussion des Maßnahmenportfolios (No. 04/2013; FFU-Report). Freie Universität Berlin. https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/20098

[3] z.B. Spitzer, M., Brunner, K.-M., & Christanell, A. (2012, February). Energiearmut und Energieeffizienz. Möglichkeiten zur Erhöhung von Energieeffizienz in energiearmen Haushalten. Symposium Energieinnovation. https://www.tugraz.at/fileadmin/user_upload/Events/Eninnov2012/files/lf/LF_Spitzer.pdf

[4] Tews, K. (2013), a.a.O.